Psychosoziale Aspekte in
reproduktionsmedizinischen Praxen

Möglichkeiten der Kooperation mit psychosozialer Beratung

Dr. Michael Thaele, IVF-SAAR Saarbrücken-Kaiserslautern:
Ich möchte im Folgenden aus der Sicht eines Reproduktionsmediziners die Kooperationsmöglichkeiten und -chancen mit Personen oder Institutionen, die eine behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung anbieten, beschreiben.
Mir ist es schon lange ein Anliegen, bei der Anwendung von Methoden der assistierten Reproduktion auch die psychologische Situation der Paare einzubeziehen und schon 1997 habe ich einen Artikel zu diesem Themenbereich verfasst.

Der unerfüllte Kinderwunsch bedeutet für viele Paare eine Störung des Selbstwertgefühls:
Sie empfinden die Situation als Niederlage, der sie schicksalhaft unterworfen sind.

Dieser primäre Konflikt kann aber auch in positive Energie verwandelt werden, so dass die Schwierigkeiten, ein eigenes Kind zu bekommen, zu Aufgabe und Ziel einer bestimmten Lebensphase werden.
Hier ist die individuelle Wertung jedes Partners entscheidend, denn auch innerpartnerschaftlich reagiert der Einzelne häufig different. Es ist in diesem Zusammenhang sehr wichtig, Paare sowohl in ihrem gemeinsamen Kinderwunsch zu sehen als auch individuell zu differenzieren.

Unerfüllter Kinderwunsch – was nun?

Wenn sich nun für ein Paar nach einer bestimmten Zeit der Kinderwunsch nicht erfüllt, so wenden sie sich üblicherweise zunächst an einen Arzt ihres Vertrauens.
Dies ist für die große Mehrzahl der Paare sicherlich der richtige Weg, sie erfahren eine fachkompetente, gezielte Diagnostik in der Arztpraxis, an die sich gezielte therapeutische Schritte anschließen.

Meiner Erfahrung nach liegt die Rate der Paare, bei denen der unerfüllte Kinderwunsch auf einem Partnerschafts- oder Sexualkonflikt beruht, bei weniger als 1 %.
Wenn diese Gruppe auch realiter recht klein ist, so ist in der Praxis doch unbedingt darauf zu achten, gerade diese Beweggründe für einen unerfüllten Kinderwunsch richtig zu erkennen, da eine rein medizinische Behandlung in diesen Fällen völlig falsch wäre.

Für den behandelnden Arzt spielt in der Therapie bei unerfülltem Kinderwunsch auch die psychosoziale Beratung eine wichtige Rolle, sie gehört ebenso wie die medizinische Beratung zum Repertoire des Arztes und ist in ärztlichen Richtlinien klar geregelt.
Diese sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

Richtlinien für die psychosoziale Beratung von ärztlicher Seite aus

Es gibt kein anderes Land, wo es so viele Festlegungen für die psychosoziale Beratung von ärztlicher Seite aus gibt wie in Deutschland.

In den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (unter: www.g-ba.de/informationen/richtlinien) ist unter Punkt 7 festgelegt:
„Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung (...) dürfen nur durchgeführt werden, wenn die Ehegatten zuvor von einem Arzt, der die Maßnahmen nicht selbst durchführt, über die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung beraten worden sind (...)“

Die Inhalte der Beratung sind dann unter Punkt 14 genauer ausgeführt und umfassen explizit die „individuellen medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung“ und unter Punkt 20 wird festgelegt, dass diese Beratung nur von Ärzten durchgeführt werden darf, die einen „Nachweis der Berechtigung zur Teilnahme an der psychosomatischen Grundversorgung“ erworben haben.

Vor einer ICSI-Therapie ist zudem eine humangenetische Beratung vorgesehen, die das Paar allerdings ablehnen kann (Punkt 16 der RiLi des G-BA).

Die Bundesärztekammer empfiehlt die unabhängige „Kooperation mit einer psychosozialen Beratungsstelle“ in ihrer „(Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion“ von 2006.  
Außerdem wird in dieser Richtlinie explizit die Beratung zu psychosozialen Aspekten gefordert (Punkt 3.2.2.) und eine unabhängige psychosoziale Beratung soll den Paaren angeboten werden (Punkt 3.2.4.). 
Zwar wird die Kooperation mit externen Beratern nicht verpflichtend vorgeschrieben, es wird aber eine Empfehlung ausgesprochen und aus der Praxis weiß ich, dass sich die meisten Reproduktionsmediziner bemühen, dieser zu entsprechen.

In die Therapie müssen also sowohl medizinische als auch psychologische Aspekte integriert werden.
Laut (Muster-)Richtlinie der Bundesärztekammer sind die psychologischen Kompetenzen auf ein Team von ÄrztInnen mit Qualifikation für die psychosomatische Grundversorgung, ärztlichen oder psychologischen PsychotherapeutInnen und einer externen psychosozialen Beratungsstelle zu verteilen.  
Den Paaren müssen ihre persönlichen Aussichten, ein Kind zu bekommen, klar geschildert werden, so muss beispielsweise das Fehlgeburtsrisiko insbesondere bei älteren Frauen in der Beratung angesprochen werden sowie die medizinischen wie emotionalen Folgen der unterschiedlichen reproduktionsmedizinischen Behandlungsmethoden.

Von Anfang an müssen auch Alternativen in die Beratung einbezogen werden. Zwar ist die Behandlung bei ca. 70 % der Paare erfolgreich – das „Wunschkind“ wird geboren –, was aber auch bedeutet, dass ca. 1/3 aller Paare ohne Kind die Behandlung beendet.

Die psychosoziale Beratung bei unerfülltem Kinderwunsch scheint also von den ersten therapeutischen Schritten über die Feststellung der medizinischen Ursache und anschließender Therapie bis hin zum Wunschkind bzw. dem Umgang mit Alternativen aus ärztlicher Sicht klar und suffizient geregelt.

Beratung und Aufklärung bekommen dabei von ärztlicher Seite alle Paare, die sich aufgrund ihres Kinderwunsches in Behandlung begeben.

Aber ist damit auch tatsächlich eine patientenorientierte Betreuung gewährleistet? Es gibt Paare, die eine intensivere Betreuung benötigen, und um diese Personen muss es im Folgenden gehen.

Die behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung

Meiner Erfahrung nach ist es nicht sinnvoll, alle Paare zu einem externen psychologischen Berater zu schicken.
PatientInnen können sich dadurch stigmatisiert fühlen, als würden sie auf Grund ihres unerfüllten Kinderwunsches für psychisch krank erklärt.
Letztlich führt ein solches Vorgehen dazu, dass die PatientInnen sich an andere Einrichtungen wenden, wo sie keine psychologischen „Pflichttermine“ wahrnehmen müssen.
Die behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung sollte meiner Ansicht nach ein niedrigschwellig zugängliches Angebot bleiben, dass man freiwillig und ohne Druck wahrnehmen kann aber nicht muss.

Bei diesem Angebot geht es nicht vorrangig um medizinische Fragen, sondern um die individuellen Bedürfnisse der PatientInnen in allen drei Behandlungsphasen:
Bei der Anamnese,
in der Therapiephase und
nach Beendigung der Behandlung.
Besonders die Phase nach der Therapie wird häufig vernachlässigt, obwohl sie schwerwiegende Konflikte aufwerfen kann.

Es können beispielsweise Schuldgefühle entstehen, wenn eine Frau nach assistierter Reproduktion ein behindertes Kind zur Welt bringt – obgleich die Erfahrung lehrt, dass gerade diese Paare häufig besser mit einer Behinderung umgehen als Paare, die ihre Kinder ohne Hilfestellung bekommen haben.
Völlig anders gelagerte, aber ebenso schwerwiegende Probleme können auftreten, wenn eine reproduktionsmedizinische Behandlung nicht erfolgreich war, und ein Paar alternative Wege geht und sich für eine Adoption entscheidet.

Die Bedarfsgruppe für behandlungsunabhängige psychosoziale Beratung ist recht klar zu umreißen.
Eine in diesem Jahr veröffentlichte Studie aus Schweden über die Prävalenz psychiatrischer Störungen bei infertilen Frauen und Männern, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterziehen, stellt aktuelle Zahlen zur Verfügung. 
Hier muss allerdings beachtet werden, dass sich diese Zahlen nicht ohne weiteres auf Deutschland übertragen lassen, da insbesondere bei der Feststellung der Zufriedenheit die Raten international stark differieren.
79 % der Personen, die in Schweden mit Hilfe eines Fragebogens befragt wurden, haben geantwortet.
11 % der Frauen und 5 % der Männer gaben laut dieser Studie depressive Störungen, 15 % der Frauen und ebenfalls 5 % der Männer Angststörungen während der Phase der reproduktionsmedizinischen Behandlung an.

Mit Blick auf diese Zahlen und unter Einbeziehung der leicht differierenden Situation in Deutschland lässt sich abschätzen, dass ca. 15 bis 20 % der Paare in einer reproduktionsmedizinischen Behandlung tatsächlich psychische Probleme haben, die eine intensivere psychosoziale Betreuung notwendig machen.
Damit ist nicht gesagt, dass nicht auch andere Paare eine solche behandlungsunabhängige Beratung und Betreuung gewinnbringend wahrnehmen würden, ohne sie aus ärztlicher Sicht zu brauchen.

Aus diesem Grund scheint es meiner Ansicht nach für das Wohl der PatientInnen unbedingt wünschenswert, eine von der reproduktionsmedizinischen Behandlung unabhängige psychosoziale Betreuung für diesen Personenkreis niedrigschwellig anzubieten.

Checkliste für die Kooperation zwischen Reproduktionsmedizin und psychosozialer Beratung

Abschießend möchte ich in Form einer Checkliste noch kurz zusammenfassend darstellen, welche Elemente aus meiner Sicht für eine gelungene Kooperation zwischen einem reproduktionsmedizinischen Zentrum / einer Praxis und einer externen psychosozialen Beratungsstelle wichtig sind. Viele dieser Punkte sind beispielsweise im Saarland schon umgesetzt – hier gibt es eine Abstimmung zwischen ÄrztInnen und BeraterInnen und einen gemeinsamen Grundton in der Arbeit für die Patienten.

Checkliste für die Zusammenarbeit zwischen externer psychosozialer Beratung und reproduktionsmedizinischem Zentrum / Praxis:

  • Institutionen, die eine behandlungsunabhängige Betreuung anbieten, müssen regional verfügbar sein.
  • Sie müssen für die PatientInnen kostenfrei zur Verfügung stehen.
  • In diesen Einrichtungen müssen kompetente Ansprechpartner vorhanden sein, die sich in allen Fragen der assistierten Reproduktion auskennen.
  • Diese Berater müssen in der Lage sein, ein Paar oder eine einzelne Person in allen Phasen der Behandlung vorurteilslos und kompetent zu betreuen.
  • Die Beratungsstellen müssen auch in ihrem Außenauftritt Kompetenz im Bereich des unerfüllten Kinderwunsches ausstrahlen, um bei den Paaren Vertrauen auf eine gute, umfassende und unabhängige Beratung zu erwecken.
  • Die Beratungsstellen sollten in das organisatorische Netzwerk der reproduktionsmedizinischen Zentren / Praxen eingebunden werden.
  • Die psychosozialen BetreuerInnen sollten an den Patienten-Informationsabenden des reproduktionsmedizinischen Zentrums / der Praxis teilnehmen und auch umgekehrt sollten sich die ReproduktionsmedizinerInnen an den Veranstaltungen der Beratungsinstitutionen beteiligen.
  • Das Aushängen von Postern und das Auslegen von Informationsmaterialien in den Räumen der jeweiligen Institution sollte wechselseitig erlaubt werden.
  • Zwischen den Beratungseinrichtungen und den reproduktionsmedizinischen Zentren / Praxen sollte ein ständiger interner Austausch stattfinden.
  • Regelmäßige Meetings (ein bis zwei Mal im Jahr) zwischen „beratenden BetreuerInnen“ und behandelnden ÄrztInnen sind zu empfehlen.
  • Bei Bedarf sollte in Einzelfällen auch ein gezielter Informationsaustausch zwischen BeraterInnen und behandelnden ÄrztInnen stattfinden.

Liste der zitierten Literatur: